„Wir sind Langstreckenläufer“

Sally Bibawy und Matthias Fiegl-Bibawy sind Mitgründer und Geschäftsführer der Lomographischen Gesellschaft. Sie sprechen über Schnappschussfotografie als Lebensstil, die Wünsche ihrer Community und den Glauben an das eigene Tun.

Interview mit Sally Bibawy und Matthias Fiegl-Bibawy, Lomographische Gesellschaft, am 1. August 2022

Kurzbiografie

Die Lomographische Gesellschaft wurde die 1992 in Wien. Sie ist heute der weltweit führende Brand für analoge Fotografie, entwickelt und realisiert neu analoge Fotokamera-Modelle sowie neue Foto-Film-Ideen – mit umfassendem Sortiment. Lomography verfügt über ein weltweites Vertriebsnetz mit 15 eigenen Webshops, über 2000 Verkaufsstellen über Vertragshändler und eigene Vertriebspartner. Das Unternehmen beschäftigt weltweit ca. 100 Mitarbeiter in acht Gesellschaften, Hauptquartier in Wien und sieben Tochtergesellschaften u. a. in New York, Hong Kong, Tokyo, Manila und London.

Wie die Hypo Tirol Bank in Wien feiert das Unternehmen, die Lomographic Society International, im Jahr 2022 das 30-Jahre-Jubiläum. Was ist Lomographie?

Matthias Fiegl-Bibawy: Der Begriff leitet sich von der russischen Lomo-Kamera ab, einer günstigen analogen Kamera, die wir – eine Gruppe von Studenten und jungen Menschen in Wien – Anfang der 1990er Jahre für uns entdeckt haben. Damals gab es noch eine starke Trennung zwischen Profi- und Amateurfotografie. Amateurfotografie hieß, Fotos machen bei wichtigen Ereignissen wie Geburtstagsfeier, Hochzeit oder im Urlaub. Die Filmentwicklung war teuer. Als die ersten großen Handelsketten billige Fotoentwicklungen anboten, wurde mehr zu fotografieren für die breite Masse interessant. Die Lomo passte perfekt dazu. Wir wollten den Zugang zur Fotografie verändern. Das Motto lautete, den Alltag dokumentieren, sozusagen aus der Hüfte heraus schießen, dabei kreativ sein. Mit der Lomographie haben wir die Schnappschussfotografie etabliert.

Rasch entstand die Lomographische Gesellschaft. Mit welchem Ziel?

MFB: Unsere Lomo-Besessenheit zog Kreise. Freunde, Künstler, Bekannte wollten ebenfalls eine Lomo-Kamera haben. So gründeten wir die Lomographische Gesellschaft, zunächst als Kunstprojekt, brachten hunderte Lomo-Kameras aus Russland nach Wien und verteilten sie an die Mitglieder des neu gegründeten Vereins „Lomographische Gesellschaft“. Wir organisierten Ausstellungen, Reisen, Treffen, Workshops etc. 1995 wurde aus dem Verein eine kommerzielle Firma, und wir unterzeichneten einen exklusiven Vertrag mit der Firma Lomo für den weltweiten Vertrieb der Kameras. Wir importierten zehntausende Kameras und verkauften sie weltweit. Bald gingen wir dazu über, eigene Produkte zu entwickeln und mit chinesischen Partnern herzustellen, die „Fisheye“ zum Beispiel oder den „Action Sampler“, der vier Fotos in Serie auf ein Bild bringt.

Als die digitale Fotografie aufkam, hieß es, die analoge sei tot. Dem war bzw. ist offensichtlich nicht so.

Sally Bibawy: Wir haben früh verstanden, dass die digitale Fotografie die analoge nicht verdrängen kann. Wie eine Kamera funktioniert, die Basics, muss man zum Beispiel im Kunstbereich wissen. Und wir waren überzeugt, es würde immer Leute geben, die die analoge Fotografie lieben. Gleichzeitig haben wir aber in der Kommunikation auf neue Medien gesetzt, hatten früh E-Mail, eine der ersten Websites überhaupt in Österreich und eine der ersten Websites weltweit mit Foto-upload-Funktion. Große Kamerahersteller haben sich, vor allem nach dem Durchbruch der Digitalfotografie ab 2000, nicht für unsere spezielle Nische interessiert. Wir konnten sozusagen als U-Boot einfach weitermachen. Trotzdem waren es natürlich schwierige Zeiten, weil viele Produzenten die Herstellung der analogen Produkte einstellten, womit viel Know-how verloren ging. Die Smartphones haben den digitalen Markt dann nochmals aufgemischt. Diese verdrängen mittlerweile die klassische Digitalkamera, nicht aber die analoge. Denn die hat, wie eine Schallplatte, andere Qualitäten. Wir erleben ein starkes Revival.

Es wird von „Slow Photography“ gesprochen. Woran liegt es, dass das Analoge wieder so im Trend ist?

MFB: Es gibt mittlerweile auch einen Social-Media-Verdruss. Die Menschen sind von Facebook zu Instagram, zu Tiktok usw. gesprungen. Instagram hat ja ursprünglich den Schnappschuss und das Share-Thema kombiniert. Das haben wir schon gespürt. Das breite Spektrum in der Fotografie übernimmt heute eindeutig das Smartphone, darüber hinaus gibt es fast nur noch teure Systemkameras und eben immer noch die analoge Fotografie! Lomographie steht für Beständigkeit. In der Pandemie hatten viele Leute plötzlich Zeit für Hobbys, für etwas Neues, für sich, eine sensible Beschäftigung mit einem Thema – Mindfulness entspricht der Lomographie.

Trotzdem brauchte es Durchhaltevermögen. Was macht den Erfolg der Lomographischen Gesellschaft aus?

SB: Wir haben in dieser Nische alle Möglichkeiten genutzt und sind unserem Brand treu geblieben, auch in schwierigen Zeiten. Beim Kern zu bleiben, zahlt sich aus. Heute ist die Nachfrage nach unseren analogen Systemen und Filmmaterial so groß, dass wir mit dem Liefern nicht nachkommen.

Uns gibt es seit 30 Jahren, wir sind Langstreckenläufer auf dem hart umkämpften Feld der Fotografie, ein Nischen-Player. Wir haben immer an das geglaubt, was wir tun, sind unseren Weg konsequent weitergegangen.

Sally Bibawy und Matthias Fiegl-Bibawy

Lomographische Gesellschaft

Kunstvolles Portrait von Sally Bibawy und Matthias Fiegl-Bibawy.

Sally Bibawy und Matthias Fiegl-Bibawy

Lomographische Gesellschaft

Die Lomographische Gesellschaft hat mehrere Millionen Mitglieder. Welche Rolle spielt die Community?

SB: Eine riesige Rolle! Die Community ist über die Jahre gewachsen und wir mit ihr. Wir sind im permanenten Kontakt und Austausch über unsere Websites. Es gibt wöchentlich mehrere Newsletter, wir geben ein eigenes Online-Magazin heraus, sind auf fast allen Social-Media-Kanälen vertreten und organisieren Ausstellungen. Die Community hat ihr Archiv bei uns, das sind mittlerweile 15,5 Millionen Bilder. Mitglieder kaufen bei uns, machen selbst Ausstellungen und Bücher.

Lässt sich feststellen, wer sich besonders für die Lomographie interessiert?

SB: Unsere Kundenschicht ist sicher sehr speziell. Es handelt sich hauptsächlich um Menschen mit einer höheren Ausbildung, höherem Einkommen. Sie reisen viel, interessieren sich für Kunst und Kultur. Und sie fordern Aufrichtigkeit bei der Marke, erwarten Content, Inspiration, Austausch.

MFB: Die Mitglieder fühlen sich wohl, sie erfahren viel über kreative und experimentelle Fotografie. Sie genießen die „unmöglichen Möglichkeiten“ dieser Fotografie. Mit den Lomo-Kameras und -Filmen praktizieren sie „Slow Photography“. Es geht um das gute Leben, die Freude am Tun. Die individuelle Kreativität und der Genuss stehen im Vordergrund.

Die Marke Lomography ist weltweit vertreten. Was erwarten Sie von einem Bankunternehmen wie der Hypo Tirol Bank in Wien?

MFB: Uns gibt es seit 30 Jahren, wir sind Langstreckenläufer auf dem hart umkämpften Feld der Fotografie, ein Nischen-Player. Wir haben immer an das geglaubt, was wir tun, sind unseren Weg konsequent weitergegangen. Langfristige Partnerschaften sind uns auch bei unseren privaten Finanzierungen sehr wichtig. Und da kommen wir mit der Hypo Tirol Bank in Wien gut zusammen.