Wie die Hypo Tirol Bank in Wien feiert das Unternehmen, die Lomographic Society International, im Jahr 2022 das 30-Jahre-Jubiläum. Was ist Lomographie?
Matthias Fiegl-Bibawy: Der Begriff leitet sich von der russischen Lomo-Kamera ab, einer günstigen analogen Kamera, die wir – eine Gruppe von Studenten und jungen Menschen in Wien – Anfang der 1990er Jahre für uns entdeckt haben. Damals gab es noch eine starke Trennung zwischen Profi- und Amateurfotografie. Amateurfotografie hieß, Fotos machen bei wichtigen Ereignissen wie Geburtstagsfeier, Hochzeit oder im Urlaub. Die Filmentwicklung war teuer. Als die ersten großen Handelsketten billige Fotoentwicklungen anboten, wurde mehr zu fotografieren für die breite Masse interessant. Die Lomo passte perfekt dazu. Wir wollten den Zugang zur Fotografie verändern. Das Motto lautete, den Alltag dokumentieren, sozusagen aus der Hüfte heraus schießen, dabei kreativ sein. Mit der Lomographie haben wir die Schnappschussfotografie etabliert.
Rasch entstand die Lomographische Gesellschaft. Mit welchem Ziel?
MFB: Unsere Lomo-Besessenheit zog Kreise. Freunde, Künstler, Bekannte wollten ebenfalls eine Lomo-Kamera haben. So gründeten wir die Lomographische Gesellschaft, zunächst als Kunstprojekt, brachten hunderte Lomo-Kameras aus Russland nach Wien und verteilten sie an die Mitglieder des neu gegründeten Vereins „Lomographische Gesellschaft“. Wir organisierten Ausstellungen, Reisen, Treffen, Workshops etc. 1995 wurde aus dem Verein eine kommerzielle Firma, und wir unterzeichneten einen exklusiven Vertrag mit der Firma Lomo für den weltweiten Vertrieb der Kameras. Wir importierten zehntausende Kameras und verkauften sie weltweit. Bald gingen wir dazu über, eigene Produkte zu entwickeln und mit chinesischen Partnern herzustellen, die „Fisheye“ zum Beispiel oder den „Action Sampler“, der vier Fotos in Serie auf ein Bild bringt.
Als die digitale Fotografie aufkam, hieß es, die analoge sei tot. Dem war bzw. ist offensichtlich nicht so.
Sally Bibawy: Wir haben früh verstanden, dass die digitale Fotografie die analoge nicht verdrängen kann. Wie eine Kamera funktioniert, die Basics, muss man zum Beispiel im Kunstbereich wissen. Und wir waren überzeugt, es würde immer Leute geben, die die analoge Fotografie lieben. Gleichzeitig haben wir aber in der Kommunikation auf neue Medien gesetzt, hatten früh E-Mail, eine der ersten Websites überhaupt in Österreich und eine der ersten Websites weltweit mit Foto-upload-Funktion. Große Kamerahersteller haben sich, vor allem nach dem Durchbruch der Digitalfotografie ab 2000, nicht für unsere spezielle Nische interessiert. Wir konnten sozusagen als U-Boot einfach weitermachen. Trotzdem waren es natürlich schwierige Zeiten, weil viele Produzenten die Herstellung der analogen Produkte einstellten, womit viel Know-how verloren ging. Die Smartphones haben den digitalen Markt dann nochmals aufgemischt. Diese verdrängen mittlerweile die klassische Digitalkamera, nicht aber die analoge. Denn die hat, wie eine Schallplatte, andere Qualitäten. Wir erleben ein starkes Revival.
Es wird von „Slow Photography“ gesprochen. Woran liegt es, dass das Analoge wieder so im Trend ist?
MFB: Es gibt mittlerweile auch einen Social-Media-Verdruss. Die Menschen sind von Facebook zu Instagram, zu Tiktok usw. gesprungen. Instagram hat ja ursprünglich den Schnappschuss und das Share-Thema kombiniert. Das haben wir schon gespürt. Das breite Spektrum in der Fotografie übernimmt heute eindeutig das Smartphone, darüber hinaus gibt es fast nur noch teure Systemkameras und eben immer noch die analoge Fotografie! Lomographie steht für Beständigkeit. In der Pandemie hatten viele Leute plötzlich Zeit für Hobbys, für etwas Neues, für sich, eine sensible Beschäftigung mit einem Thema – Mindfulness entspricht der Lomographie.
Trotzdem brauchte es Durchhaltevermögen. Was macht den Erfolg der Lomographischen Gesellschaft aus?
SB: Wir haben in dieser Nische alle Möglichkeiten genutzt und sind unserem Brand treu geblieben, auch in schwierigen Zeiten. Beim Kern zu bleiben, zahlt sich aus. Heute ist die Nachfrage nach unseren analogen Systemen und Filmmaterial so groß, dass wir mit dem Liefern nicht nachkommen.